Mathematik an einer Mädchenschule
Eine Wortmeldung der Königsdisziplin - Ein Beitrag aus dem Jahresbericht 2004/2005
"Meine Mama hat gesagt, was sie in Mathe früher gelernt hat ('oder
auch nicht', Anm. des Autors), hat sie nie wieder gebraucht. Zu was
brauch ich dann dieses Mathe eigentlich?"
Solche oder ähnliche Fragen sind das tägliche Brot eines Mathepaukers an einer reinen Mädchenrealschule und sie spiegeln auch die allgemeine Einstellung wieder, die in vielen Elternhäusern vorherrscht und die von dort auch immer noch traditionell an Mädchen stärker weitergegeben wird als an die Söhne der Familien.
Abgesehen davon, dass solche vielleicht tröstenden und daher gut gemeinten Kommentare für uns als Pädagogen etwa eben so gelegen kommen wie ein ordentlicher Hagelsturm für den bemühten Landwirt, sind sie mit großer Wahrscheinlichkeit ehrlich und damit subjektiv richtig. Aber was sagen sie aus? Dass Mathematik im späteren Leben nicht gebraucht wird oder dass die Kommentatorin in ihrem Leben bisher nicht die Gelegenheit ergriffen hat, sie zu gebrauchen? Wer punktuell mit bestimmten Kompetenzen auf Kriegsfuss steht, versteht es bekanntlich blendend, in seinem Leben um alles einen großen Bogen zu machen, was diese Kompetenzen erfordern würde. Und dort, wo sich Handlungsfelder bieten würden, werden sie häufig nicht gesehen. Solche Kommentare sind also eher Ausdruck eines geringen eigenen Bewegungsspielraums im späteren Leben und dieser geringe Spielraum wird mit solchen Weisheiten sozusagen auf die nächste Generation vererbt.
Die Optikerin, die sich das Aufbaustudium nicht zutraute, die Sozialpädagogin, die nie eine verständliche Statistik über ihre Therapieerfolge machte, die OP-Schwester, die lieber den Tupfer hält als neue technische Geräte zu bedienen, weil sie die Bedienungsanleitungen scheut, die Unternehmerin, die ihre EXCEL-Tabellen und die Auswertungen der Geschäftszahlen außer Haus gibt, ... Sie alle machen die - subjektiv richtige - Erfahrung, dass sie Mathematik nie brauchten.
Sollten sie alle diese Erfahrung an ihre Töchter weitergeben?
Mir persönlich geht es aber ... >>> mehr
P.S.: Das Bild zeigt Emmy Noether (1882-1935), eine der bedeutendsten Mathematikerinnen des 20. Jahrhunderts,
Wolfgang Lentner