CUBE.CODES - Programmierung neu im Lehrplan

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Erste WEB-Seite, veröffentlicht am 6. August 1991
IDE.CUBE.CODES


Als ich 1980 als Schüler am IGG den Wahlkurs Informatik belegte, war die Schule stolz auf vier modernste SIEMENS-Rechner. Sie hatten weder Festplatte (und damit auch kein Betriebssystem) noch Farbe noch Grafik. Die Bedienung fühlte sich an wie die eines überdimensionalen Taschenrechners. Wir starteten die Rechner mit einer "Floppy-Disk". Auf einmal hatte der Rechner ein Betriebssystem im Arbeitsspeicher und war lauffähig. Disk wieder raus aus dem Laufwerk und los ging's. Den Computer konnten wir ausschließlich durch Programmierbefehle der Sprache BASIC bedienen. Internet? Wurde - so wie wir es heute kennen - erst 10 Jahre später, genau genommen am 6. August 1991 erfunden. Der Personal Computer stood alone!

Es gab keine Studiengänge Informatik und folgerichtig auch keine ausgebildeten Lehrer. Die ersten Informatiklehrer waren Hobby-Nerds und Autodidakten. Informatik lernen hieß ausschließlich "Programmieren lernen". Für Mathelehrer war der Computer ein geniales Spielzeug, denn Rechnen konnte der Kerl atemberaubend schnell und vielseitig. Multimedia-fähige Anwendungen oder grafische Betriebssysteme mit so etwas wie Menüs kamen erst viel viel später und daher war der PC für Matheflüchter eher uninteressant. Ein paar Jahre später an der UNI dann der Rückschritt: Wir programmierten mit mechanischen Stanzen, welche Lochkarten fertigten. Computer wie bei uns an der Schule gab's an der UNI noch nicht!

Die Entwicklung ging von diesen Verhältnissen rasant und weit weg: Immer mehr vorgefertigte Programme und Funktionen wurden "geschrieben", die man nicht mehr durch "Bauen von Funktionen" sondern nur durch "Auswählen von fertigen Funktionen" bediente. Leistungsfähige Office-Pakete erlaubten professionelles Schreiben, Rechnen und Daten verwalten ohne jegliche Programmierkenntnisse. Moderne Handyapps mit ihrem nur noch mikroskopisch kleinen Funktionsumfang treiben diesen Trend dieses "Auswählens" statt "Gestaltens" auf die Spitze. Eine an der Berufswirklichkeit orientierte Schulform wie die R6 musste diesem Trend Rechnung tragen. Plakativ gesprochen wandelte sich das Schulfach Informatik von einem Ingenieurfach zu einem Sekretärinnenfach und wurde in den 90ern folgerichtig von Informatik in IT umbenannt. Wie waren wir stolz auf die endlich berufsorientierte Ausrichtung unseres Fachs - wie erleichtert waren die Schülerinnen, denn schließlich toppt die Programmierung an Abstraktion und analytischer Anforderung selbst ein Fach wie Mathe um Längen! Die Programmierung flog zunächst völlig aus dem Lehrplan. Nach einigen Protesten hielt sie im modularen Lehrplan der jüngeren Zeit dann durch zwei Wahlmodule auf einmal wieder Einzug - freiwillig für Lehrer und Schüler, die besonderes Interesse mitbringen.

Dann dieses Schuljahr ein KMS, das sich wie RETRO-TOTAL anfühlt: Programmieren wird mit 3 Pflichtmodulen wieder Teil des Schulfachs IT ! - bedeutet: Fast ein Schuljahr in einem zweistündigen Fach für alle Wahlpflichtfächergruppen. Welcher Gedanke steckt hinter dieser Neuerung? Eine Konvergenz zur Berufswelt ist jedenfalls nicht erkennbar. Zwischen KUMI und uns Lehrern wurde diese Verschiebung im Vorfeld auch nicht kommuniziert, aber die Debatte im Netz transportiert vor allem zwei nachvollziehbare Argumente, ein bildungstheoretisches und ein - na ja - standespolitisches:

  1. Spätestens durch das "Internet der Dinge" wird klar: Wir werden in Zukunft immer mehr von Algorithmen regiert werden. Wie "coden" funktioniert und welche Grenzen es hat, können wir aber nur erahnen, verstehen und dessen Auswirkung dann als Staatsbürger und Souverän auch politisch kontrollieren, wenn wir erst mal verstehen, was das überhaupt ist! Programmieren als Ausweg aus dem reinen "Gestaltet werden".
  2. Die R6 versteht sich nicht nur als Vorbereiter der dualen Lehre. Die R6 will auch durch eine passende Grundlegung den Weg in ein mögliches Studium ebnen und da kann die Kreativität und analytische Schulung des Programmierens wertvolle Dienste leisten und frühzeitig Orientierung geben.

Da es aber an Lernmaterialien für diese ab nächstem Schuljahr verbindliche Neuerung noch völlig fehlt, entwickeln im Moment, die Uni Hamburg, die TH Rosenheim und die MRS gemeinsam mit der Münchner KI-Software-Firma perfectpattern.de eine Internetplattform, die orginale JavaScript-Programmierung ermöglicht, aber den Schülern zusätzlich eine Objekt-Bibliothek zur Verfügung stellt, in der sie mit kleinen programmiertechnischen Kniffen ein professionell visualisiertes Objekt einer spielerischen Lernumgebung steuern und damit erforschen können: Eine 3D-Version des RUBIK-Würfels.

Seit diesem Frühjahr arbeitet auch ein von der TH-Rosenheim finanzierter Programmierer an dieser aus dem MINT-Projekt RUBIK entstandenen Idee. Sogenannte SMART-CUBES können schon jetzt durch die Schüler-geschriebenen Programme gesteuert werden. Der TH-Rosenheim schwebt in den nächsten Jahren ein überdimensionaler Holz-Rubik-Cube in der Eingangshalle vor, den Schülergruppen mit ihren Handys und ihren selbst geschrieben Programmen bei einem Besuch zum Leben erwecken können. Vielleicht bleibt dann ja auch die eine oder andere MINT-begeisterte Schülerin an der Atmosphäre der Rosenheimer Ingenieuerinnen-Schmiede hängen. Soweit die Theorie.

Wolfgang Lentner