R-Wert

Aus MINT.lentner.net
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Hester.png

>>> Wie die Zeit vergeht

Am Samstag, den 17. April 2021 stirbt Hester McCardell Ford

In einer links-liberalen, deutschen Tageszeitung mit intellektuellem Anspruch erscheint ein Artikel mit der Überschrift "Lebenskunst". Der Hintergrund: Hester wurde 115 Jahre alt und lebte nach dem Tod ihres 1963 verstorbenen Mannes quasi ein zweites Leben. Dies genügte den Beiden, 12 Kinder in die Welt zu setzen und verschaffte Hester einige Jahre die Ehre, als ältester Mensch der USA gelistet zu sein. Außerdem erwähnt die Zeitung lobend Hesters 68 Enkel, 125 Urenkel und 120 Ururenkel. Die Zeitung schließt ihren Artikel mit dem Satz: "Wenn das Leben eine Kunst ist, dann war diese Frau eine große Künstlerin."

Offen bleibt, ob sich die Schlussfolgerung auf Hesters Reproduktionsleistung oder ihre prämierte Zähigkeit bezieht. Nachdem man Wolfgang Amadeus Mozart mit seinen lausigen 35 Lebensjahren schwerlich als Kunstbanause einordnen kann, hinterfragen wir Hesters R-Wert als Indikator für die diagostizierte Kunstfertigkeit: Während sich Hester persönlich in der ersten Generation verzwölffachte, wollen sich ihre direkten Nachkommen im Schnitt nur mehr mit einem Reproduktionsfaktor von gerade mal 5,7 verbreiten. Die 3. Generation belegt endgültig die fehlende Nachhaltigkeit von Hesters Lebenszielen. Ihre Enkel bewegen sich mit einer Reproduktionsrate von 1,8 im völlig durchschnittlichen Bereich. Der R-Wert der 4. Generation liegt mit 0,96 unter der magischen 1, was langfristig bedeutet - soviel haben wir in der Pandemie gelernt, dass sich bereits jetzt das drohende Aussterben des Clans andeutet. Angesichts des Alters der Ururenkel kann man aber davon ausgehen, dass das Schicksal hierbei das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen hat. Hester war also - so die aktuelle Faktenlage - nicht einmal im engsten Familienkreis ein nachahmenswertes Vorbild.

Klopfen wir noch kurz das angepriesene Wertesystem mit Kants kategorischem Imperativ ab: Würden sich auch nur zehn Generationen an Hesters Verhalten ein Beispiel nehmen, würde der Ford-Clan bis zum Ende der Lieferzeit die Erde mit über 60 Milliarden Mitgliedern beglücken. Nachdem Hester bereits mit 15 Jahren begann sich fortzupflanzen, scheint dies eine ziemlich überschaubare Zeitspanne zu sein. Der Wertewandel Hesters 325 Nachfahren ist zu begrüßen.

Die Bewohner der Bergregion von Ladakh mussten bei ihrem entbehrungsreichen Leben in karger Umgebung die Stabilität ihrer Bevölkerungsentwicklung sehr sorgfältig im Auge behalten. Daher war es üblich, dass nur sehr wenige Kinder aus größeren Familien wiederum eigene Familien gründeten. Um den übrigen ein geborgenes soziales Leben zu ermöglichen, zogen diese in große klösterliche Gemeinschaften und trugen von dort aus zum wirtschaftlichen und kulturellen Wohlstand des Volkes bei. So konnten die Bewohner von Ladakh Jahrhunderte ohne Hungersnöte, soziale Spannungen und Wanderungsdruck auf ihre Nachbarn und damit Kriege ihr Leben glücklich und friedlich gestalten. Wer zugunsten seiner Geschwister auf Fortpflanzung verzichtete, genoss herausragendes Ansehen. Den R-Wert just bei 1 zu halten, war deren Kunst. Heute ist Ladakh eines von acht Unionsterritorien Indiens ohne eigene Regierungsgewalt.

Seien Sie anspruchvoll!

Media: hester.odt
Media: hester.pdf